Eine Sache, die mal wieder mit einer Woche Grippe begann. Zeitgleich regnete es aus Kübeln und es war Jugendlager bei den Segelfliegern in E-Dorf (Flugplatz Großes Moor, Ehlershausen bei Burgdorf). Ich demonstrierte mit meiner »Orgel« (Æ-08) Kunstflug und senkrechte Stürze bis zum Anschlag. Aber so ein eleganter Großsegler, ja, das wäre mal etwas! Es sollte ein besonderes Modell entstehen. Etwas anderes als einen Schwanzlosen zu bauen, hätte damals im Frühsommer '91 gegen meinen Ethos als Konstrukteur verstoßen. Gut oder weniger, es musste also schwanzlos werden. Ein Entwurf nach »Horten« scheiterte an den nicht vorhandenen Berechnungsverfahren und mathematischen Fähigkeiten, abgesehen davon wäre der induzierte Widerstand niemals akzeptabel gewesen, aber darüber reden wir später noch...
Das war also im Frühsommer 1991. Kaum war die Grippe auskuriert, ging es los: Das Modell, das Pate stand, war meine Cobra T. Deswegen kam ausschließlich ein 3,4% gewölbtes und 12,0% dickes S-Schlagprofil in Betracht. Nein, etwas anderes wäre wirklich nicht akzeptabel gewesen, aus Prinzip schon nicht. Manche kennen das sicher vom Autokauf... Was gab es zu diesem Zeitpunkt? Kein verfügbares S-Schlagprofil, was auch nur annähernd diese Werte aufweisen konnte.
Im Winter 90/91 hatte ich aus irgendwelchen Gründen bereits das HS-4 (HS 3.4/12.0) entwickelt, das war im Zuge der HS-3 (HS 3.0/9.0) Entwicklung parallel entstanden, um zu sehen, wie so ein höher gewölbtes S-Schlagprofil aussehen könnte. Ein tiefer Griff in die Schublade und das 1m lange Meisterwerk des Kurvenlineals lag vor mir. Kurz Koordinaten abgegriffen und schon hatte ich das richtige Profil.
Mein Vater hatte im Herbst '90 ein Riesenpaket Furniere eingekauft, die jetzt unschuldig in einer Kellerecke herumlagen, das war fürs Modellbauen gedacht, aber irgendwie doch nicht so richtig... Väter! Gut, daraus ergab sich die Länge der Außenflügel, das war etwa die Länge der Blätter. Als fauler Mensch schäftet man nicht gern. Außerdem war klar, dass nur ein 3teiliger Flügel überhaupt fliegen kann, 2teilige Modelle fliegen nur Anfänger, Exportbiertrinker und Rechtsfahrer. So war das damals wirklich! F3B sei Dank... Aus heutiger Sicht ist das Quatsch, aber auf meinen NF bezogen die einzige sinnvolle Entscheidung. Bei der hohen Tragflügelstreckung funktioniert eine Steckung in der Tragflügelmitte wirklich nicht.
Dann begann der Bau, mein Lieblingspfeilwinkel von 20° war genauso ein Gesetz wie die 18° von Hans-Jürgen Unverferth oder die 19° der Christians (Behrens & Tollmien). Es gibt Dinge, über die kann man nicht sinnvoll diskutieren. Six-Flap war auch klar, die Klappenlängen wären sonst nicht beherrschbar gewesen. Kohlefaser war noch höllisch teuer und ich ein armer Schüler.
Klassische Styropor Bauweise mit Furnier (ähnlich Abachi). Das Styropor hat mein
Bruder Eckhard am Straßenrand gefunden, es war PS20. Sehr gut, weil
ich damals nur PS15 und PS30 kaufen konnte. PS30 konnte ich aber nicht
schneiden, es war noch der alte Graupner Schneidbogen. Insoweit Glück
gehabt.
Zur Statik sage ich besser nichts, die absolute Achillesferse des Modells...
160er Glas diagonal im Mittelteil, doppelt und dreilagig, mit einem 10er
Balsasteg verstärkt. Die Außenflügel waren nur im Anschlussbereich
mit 160er verstärkt, ansonsten nichts drunter. Die Steckung ist ein
8er Rundstahl. Das soll mal als Eindruck genügen. Tut sowas niemals!!!
Nein, nein, wirklich niemals! Kirchlich geweihtes Kreuz und Knoblauchzehen,
dazu ein geflüstertes reumütiges Amen... Ohne Kohle wird das
nie was!!!
Aus
heutiger Sicht würde ich folgende Bauweise vorschlagen:
40 NF24 Rovings je Gurt, 3 Lagen 160er Kohlegewebe unter +/-45° orientiert,
ein Balsasteg mit 3 Lagen Kohleschlauch umhüllt. Darauf dann das
Furnier zur Tarnung des schwarzen Goldes... Das wäre das Mittelteil,
außer Heavy Duty hilft da nichts. Der Flügelanschluss
nach außen mit einem 16er Kohleverbinder. Der Außenflügel
mit einem Gurt aus 30->10 NF24 Rovings, die über einem Balsa/Kohlesteg
verbunden werden. 160er Kohle diagonal bis in den Randbogen, im Verbindungsbereich
aufgedoppelt und darauf wieder Furnier. Die Ruderklappenstege würden
aus Kohlefaserschlauch hergestellt, die über den ausgeschnittenen
Styroporkern des Einlauflippenbereichs gezogen werden. Wozu diese Monsterbauweise?
Lest mal weiter...
Kurz und deftig! Das Teil hat ein Sinken von knappen 0,4m/s an den Tag gelegt (Casio), mehrere Messungen bestätigten das. Das beste Gleiten ist schlicht eine Unverschämtheit, die Kiste schwebt rein, als wenn so ein Modellfluggelände unendlich lang wäre! Ist es aber nicht!
Die größte Unverschämtheit war aber das Flugverhalten: Ich habe noch nie zuvor und auch nie wieder in meinem Leben ein Modell geflogen, das sich so ruhig und ausgeglichen steuern ließ.
Aus, fertig! Ich habe schon ein paar Großsegler von Kollegen fliegen dürfen: Nein, vergesst es bitte! Das Modell hier hatte ein Handling, das war von einem anderen Stern. Leider (sorry) weiß ich nicht mehr das Klappenmanagement in allen Details. Es war so eingestellt, dass kein negatives Wenderollmoment auftrat und das war so nur dank der Winglet- Seitenruder möglich. Die machen im Übrigen aufgrund des Hebelarms nur bei einem so großen Modell Sinn.
Der Kurvenflug war eine einzige Freude, eng und steil geht es stabil dahin, einfach schön. Kurvenwechsel verliefen ebenfalls sehr gut, trotz der enormen Streckung trat kaum Schieben auf. Der Geradeausflug war wie auf Schienen. Ich weiß, ich hasse solche Testberichte auch. Hier stimmt es aber wirklich, keine Spiralsturzneigung (hat jeder Leitwerkler), neutraler Kurvenflug, sauberster Geradeausflug.
Böiges Wetter mochte das Modell aufgrund seiner Schwinganfälligkeit (siehe unten) nicht so, daher kann ich das bezogen auf die Modellaerodynamik nicht bewerten. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich aber sagen, dass auch bei einem steifen Modell durch das Profil bedingt böiges Wetter problematisch sein würde. Das liegt vor allem an dieser Profilfamilie, die EH Serie betrifft das auch. Diese Profile begünstigen höherfrequente Anstellwinkelschwingungen, die eine Anfachung durch Windböen ermöglichen. Einen Ausweg wüsste ich momentan leider nicht, es gibt keine höher gewölbten S-Schlagprofile der neuen Generation (MH45, MH60, S5010, S5020,...) die diese Probleme nicht haben. Mit einem anderen aerodynamischen Konzept kann man aber diese Probleme umgehen, man könnte dann cm0 negative Profile einsetzen, bei einem so hochgestreckten Modell wie diesem kein Problem.
Das Modell war nur in der Quadro-Flap Version (innen und außen) geflogen, die mittlere Klappe sollte später eingebaut werden, aber dazu kam es nicht mehr...
Jetzt kommen wir zu den oben angedeuteten Problemen des
Modells. Das Modell flatterte extrem leicht. Ein Handstart mit Anlaufen
war unmöglich, weil sich der Flügel sofort aufschwang. Also
blieb nur der Hochstart. In knapp 100m klinkte das Modell aus und glitt
sauber zur Erde. In dieser Höhe begann der Flügel immer zu flattern,
es war der Übergang in die horizontale Flugphase im Hochstart. Im
reinen Gleiten konnte man recht zügig unterwegs sein, bis er dann
wie ein Graureiher zu schwingen begann, langsam und bedächtig. Flattern
kann man es eigentlich nicht nennen.
Das Fahrtaufnahmeverhalten war sehr gut, das hat mich sehr erstaunt: ohne
großen Höhenverlust beschleunigte das Modell aus dem Stand
gut weg. Die umgekehrte Geschwindigkeitsumsetzung (v->Höhe) war
aber nicht so gut. Da wäre ein normaler Leitwerkler sicher besser.
Mir waren leider nur wenige Flüge möglich, bis das Ende in Form eines Hochstarts kam: nach der Freigabe aus der Hand brach bei der Rotation in die Steigphase das Mittelteil durch. Unrühmliches Ende eines großartigen Modells. Es tut mir sogar heute noch leid, wenn ich an dieses Modell zurückdenke. Dagegen hilft nur eins: irgendwann nochmal bauen und dann mit viel Kohlefaser.
Mag man bei den Flugleistungen gar nicht vermuten, aber die Auftriebsverteilung ist wirklich abenteuerlich! Werde ich demnächst mal erläutern, jetzt nicht. Das wichtigste ist: Das Modell fliegt sich großartig, am Handling gibt es absolut nichts zu auszusetzen! Abrissverhalten tadellos, alles bestens.
Die Winglets sollte man besser dezent profilieren. Sie müssen aber in jedem Fall extrem leicht gebaut werden, weil sie aufgrund ihrer Länge und Größe die Anregungsfrequenz des Flügels erheblich herabsetzen, also ein Flattern nicht nur erleichtern, sondern im Falle des Auftretens sogar noch erheblich anfachen!
Die Innenklappen wirken wie invertierte Höhenruder, Ausschlag nach unten = ziehen! Diese Klappe war zum Höhenruder der Außenklappe zugemischt. Die mittlere Klappe hätte ein leicht negatives Moment zur Folge gehabt, aber ich hatte sie noch nicht angesteuert.
Eines meiner besten Modelle, in mancher Beziehung wirklich einzigartig. Würde ich es nochmal bauen? Hm. Weiß ich nicht. Ich würde wohl so viel ändern, dass eine Verschlimmbesserung die Folge wäre. Vielleicht aber auch nicht, schwer zu sagen. Dieses Modell ist jedenfalls nur sehr schwer zu toppen.
© Hartmut Siegmann 1991-2016
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