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Æ-13 V1 »Sturmtänzer I«

Sturmtänzer

Wir sind hier im tiefsten Nurflügel Untergrund gelandet. Dieses ist mit Sicherheit eines der schnellsten und spektakulärsten Modelle, das ich je entwickelt und geflogen habe. Es sei aber auch nicht verschwiegen, dass es sich aufgrund der geringen Größe um eines der am schwersten zu beherrschenden Modelle handelt. Im Hangflug an der Küste ist der Name Programm: den »Sturmtänzer« fliegt man von 4 bis 12 Beaufort Wind, sofern der Pilot sturmfest und erdverwachsen ist...

 

Geschichte einer Entwicklung

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Abb. 1: Lufthoheit bei ablaufendem
Wasser am Westkopf auf Baltrum

In den Herbstferien 1991 wollten mein Bruder und ich endlich mal die Herbststürme auf der Nordseeinsel »Baltrum« zum Modellfliegen nutzen, wo wir sonst nur in der Sommerzeit Urlaub machten. Die Insel liegt in der östliche Nordsee, zwischen Norderney und Langeoog. Ja, das kleine Fleckchen Erde in der Nordsee, bei dem man immer überlegt, ob das nun ein Fliegenschiss auf der Karte oder vielleicht doch eine Insel ist.

Mein Bruder hatte gerade seinen Führerschein gemacht und unsere lieben Eltern wollten partout nicht, dass ein Führerscheinneuling auf große Fahrt geht. Manchmal hilft endlos nerven und nörgeln weiter. In unserem Fall hat das tatsächlich geholfen, aber leider etwas zu spät, also war spontanes Bauen angesagt. Eckhard hatte zu dem Zeitpunkt gerade seine »Spariane« in Arbeit und ich hatte gerade mal wieder kein flugfähiges Modell, wie immer.

Wir freuten uns tierisch auf eine Woche Hangfliegen total, jedenfalls dachten wir das zu dem Zeitpunkt noch. Also was tun? Im Frühjahr hatten wir Styropor® Tragflächenkerne für das Elektrobrett «Hot Shot» geschnitten. Die Kerne lagen noch herum, also mussten sie für diesen Hanghobel herhalten. Das Profil war ein modifiziertes Horten II 50% 1,1/6,5%, eigentlich für GFK Positivbauweise mit 40er Glasgewebe gedacht, ohne Beplankungsabzug. Aus den Flugversuchen im Sommer mit dem ersten Prototyp vom Elektrobrett war klar, dass das nicht funktioniert. Also Computer angeworfen und Balsabestände geprüft. Ergebnis: 2x 1.5mm Balsaholz machen aus einem zu dünnen 6,5% Profil gesunde 8,0% Profildicke und die Wölbung ist auch etwas höher. Zwei Nachtschichten später war der Sturmtänzer flugfertig. Nach einer weiteren Nacht - Auto beladen - hatten wir eine halbe mobile Werkstatt auf vier Rädern. Wir hätten allein damit wahrscheinlich ein drittes Modell im Urlaub aufbauen können, aber beim Erstflug weiß man nie! Insgesamt landeten dennoch nur diese zwei Modelle im Auto, damit waren wir von Schwach- bis Starkwind gut ausgerüstet. Gegen Mittag ging es dann los, auf der Autobahn A7 gen Norden...

Schon während der Autofahrt nagelte der Wind nur so übers Land, der Opel Record pfiff auf dem letzten Loch und wackelte gehörig unter dem Seitenwind. Der Regen wollte nicht aufhören. Ob die Fähre bei dem Sturm noch fährt? Im Autoradio liefen auf ffn "Kuddel Daddel Du" und "Aloha Heja He" von Achim Reichel rauf und runter, während wir uns mit unserem hellblauen Rüsselsheimer langsam der Küste näherten. Die Vorahnung, dass da ein ausgewachsener Sturm sein Unwesen treiben könnte, wurde zur Gewissheit, als wir in Neßmersiel, dem Hafen zur Insel Baltrum, ankamen. Die Wellen schlugen hoch, das Meer brodelte ganz nett. Gischtfahnen fegten übers Meer, das war ein Sturm mit 9 Bft aus W-NW. Ein Glück, dass die Fähre »Baltrum III« doch noch fuhr, manchmal stellt die Linie den Betrieb bei solchem Wetter auch ein. Es folgte eine schön schauklige Überfahrt mit einem heißen Drift der Fähre in den Baltrumer Hafen rein. Der Seitenwind machte fast das Anlegen unmöglich, das Bugstrahlruder arbeitete minutenlang gegen den Sturm an. Und dann waren wir da. Modelle und Werkstattkoffer schnell aus dem Container gegriffen und nichts wie los! Es regnete immer noch in Strömen, aber das fühlt sich am Ziel nicht mehr ganz so schlimm an.

Nach gut 15 Minuten Fußmarsch waren wir dann klitschnass an der Wohnung angekommen. Schnell alles ausgepackt, drinnen war es lausekalt. Noch am nächsten Morgen war die Wohnung so warm, dass man nicht sofort erfror, sondern erst fünf Minuten später. Warum gehen Heizregelungen immer dann kaputt, wenn man es nicht brauchen kann? Draußen waren zwar theoretisch 8°C, aber bei dem Wind fühlt sich alles sehr, sehr kalt an. Nach einem Frühstück, das nicht wirklich geholfen hat, ging es los zum Windcheck. Kaum über den Deich geschaut, waren wir etwas überrascht, weil sich bei abgelaufenem Wasser kurz vor Ebbe noch solche Wellengebirge an den Buhnen auftürmten, dass an ein Fliegen am Vormittag nicht zu denken war. Salzwasser Gischt und Elektronik sind zwei Dinge, die sich nicht wirklich vertragen.

 

Erstflug

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Abb.2: »Sturmtänzer« kurz vor dem Erstflug,
Foto am Süddeich der Nordseeinsel Baltrum

Nun, das Modell wollte erst noch eingeflogen werden, da sollte der Wind schon noch etwas nachlassen. Gegen Mittag flaute der Sturm tatsächlich auf eine gute 5-6 ab, wir konnten also losziehen. Die Tragfläche vom »Sturmtänzer« musste man sehr gut festhalten, die Böen schienen sich nicht an die 6 halten zu wollen, die der Windmesser im Hafen meinte ermittelt zu haben. Gut, dann eben nicht.

Also gleich eine Portion Blei vor den SWP, denn bei dem Grundgewicht von 510g hätten wir das Modell im Lee einsammeln können – oder auch nicht, der Wahrscheinlichkeit nach eher nicht. Das Foto 2 ist auf dem Süddeich mit Blick auf den Heller, der Wattseite der Insel Baltrum, in Richtung Flugplatz aufgenommen. Im Moment der Aufnahme ballerte gerade eine Böe rein, deswegen stehe ich so komisch nach hinten gebeugt. Fast wäre ich umgefallen!

Dann ging es los, ein leichter Wurf gegen den Wind und das Teil flog! Ein bisschen ruckelig zwar die Angelegenheit, aber ansonsten ganz vorzüglich. Die HR standen um -3mm nach oben raus, logisch bei einer momentenneutralen Auslegung und Sturm-Schwerpunktlage. Genug Reserve, um ordentlich Dampf zu holen, wenn es auffrischt, dachte ich jedenfalls noch zu diesem Zeitpunkt.

Nach erfolgreichem Erstflug zogen wir nun los vom Süddeich zum Westkopf der Insel, von wo aus man normalerweise das Ostende der Insel Norderney sieht. Heute nicht. Der Westkopf wurde nach der verheerenden 1962er Sturmflut wieder aufgebaut und gähnt einem seitdem als dunkler grauer Koloss aus Stahlbeton entgegen. Mehrere Meter starker deutscher Stahlbeton, erbaut mit der Erfahrung von einem Weltkrieg zu viel. Wenn die schweren Brecher der Nordsee gegen dieses Bollwerk anrennen, erzittert der Boden in seinen Grundfesten. Die großen Wellen rollen bei Orkan bis aufs obere Betondeck, daher muss man auf Tiefebbe warten, um dort Modellfliegen zu können.

Kaum waren wir am Westkopf um die Ecke zur mittleren Rollbahn gebogen, flog uns schon die Gischt entgegen! Eine fette Dünung rollte gegen den Westkopf, dabei war doch fast schon Ebbe! Ok, an die Springflut hätten wir ja denken können, wozu gibt es Tidenkalender? Anfängerfehler. Der Wind hatte inzwischen NW gedreht, sehr schön, weil wir nun die 100 Meter lange gerade Kante vom Norderneyer Profil befliegen konnten, schlecht aber, weil dadurch das Wasser noch eine Ecke höher stand, als ohnehin schon. So dauerte es dann noch ein halbes Stündchen und dann ging es los. Unten stand das Wasser nur kurz vor dem Betonprofil, der Strand zum Landen wäre keine 10m breit gewesen, aber nur, wenn sich die Wellen an diese Abmachung gehalten hätten. So war da irgendwas zwischen 2 und 5 Meter, recht wenig für einen ersten Hangeinsatz eines solchen Modells. Gut, wir wollen ja fliegen und nicht landen, also raus mit dem »Sturmtänzer«!

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Abb. 3: Der Westkopf! Besagter Maschendrahtzaun, Blick
auf die Landefläche (WSW), die Buhne zeigt nach West

Kaum hat er die Wurfhand verlassen, die erste Erkenntnis: Dieses Modell ist schnell – richtig schnell! Langsam gab es nicht, der Wind hatte wie üblich just in dem Moment nachgelassen, also ging es phasenweise abwärts, Richtung rollende Nordseewellen. Der Weg nach unten ist übel, die Wellenspitzen griffen förmlich nach dem Modell! Hochgewehte Gischt der kreuzlaufenden Dünung wäscht den neuen Flügel. Es ist ein sehr schmaler Grat, sich wieder mit vorsichtigen Wenden auf Augenhöhe hochzuarbeiten. Und dann ballern wieder diese Hammerböen rein!

Bis dato hatte ich noch kein Modell, das im Millisekundenbereich 90° Schräglage einnimmt, wenn eine Böe dahergelaufen kommt. Aber man gewöhnt sich an alles und das erstaunlich schnell. Dann kam, was kommen musste: Der Wind frischte immer mehr auf und zwar ganz schnell in ganz kurzer Zeit. Das Modell flog irgendwann langsam, aber unwiderstehlich rückwärts! Hinter mir war ein Maschendrahtzaun und ein paar weitere Betonbefestigungen, nichts, womit ein Rendezvous Sinn machen würde. Und landen wollte ich auf der ebenen Betonfläche (Bild 3). Schade eigentlich, da kam schon die nächste Böe an und ich hing direkt über und etwas hinter dem Zaun, 30cm um genau zu sein. Jetzt war kein Platz mehr für Fehler, das könnte ein ungutes Ende für mein schönes, nagelneues Modell nehmen. Sanft angedrückt und nach einer Ewigkeit hing die Kiste endlich wieder vor dem Zaun, schnell nachgedrückt und unten auf den Beton geknallt.

Angesichts des geretteten Modells war ich zunächst überglücklich, bis sich mein Seitenleitwerk Sekunden später nach Lee verabschiedete und der Rumpf nach einem kapitalen Bruch aussah, alles schien irgendwie schief zu sein... Schonmal versucht bei Sturm Balsatrümmer einzusammeln? Gut. Ab jetzt baue auch ich nur noch mit deutschem Stahlbeton, beschloss ich. Das mit dem Seitenleitwerk lag an der horizontalen Maserung (s. Bild 2), das Balsabrett passte einfach so schön der Breite nach vom Zuschnitt. Anfängerfehler. Nein, das sollte man nicht tun! Tesatape regelt seitdem die Einzelheiten zwischen den Balsabrettchen da hinten. Das hebt besser als GFK, weil das zu spröde wäre für harte Landungen auf dem Beton. So war also der Erstflug und dann ging es heim, reparieren und Pfoten aufwärmen.

Anderthalb Stunden später waren wir wieder zurück, diesmal mit viel Blei in den Taschen und noch mehr im Modell. Jo, inzwischen ballerte eine lockere 8-9 auf den Hang, das Modell legte 1kg Kampfgewicht dagegen, das passte jetzt bestens: Ich konnte zügig vorfliegen, zurückheizen, wenden, Turns fliegen, Horizontalwende, vorbeiheizen. Frührentnern hätte ich Angst einjagen können, aber die trauten sich bei dem Wetter nicht raus. Die Möwen eigentlich auch nicht, nur zwei verirrte Exemplare kämpften mit dem ruppigen Wind und verzogen sich schnell wieder. Die hätten vermutlich zwei Pizzas verdrücken müssen, um genügend Masse auf die Waage zu bringen.

 

Hangflug bei Sturm

Eine Warnung vorab: Ohne Training speziell um das Höhenruder herum sollte man unter solchen Bedingungen nicht rausgehen, denn der Maximalauftrieb ist und bleibt gering. Man muss wissen, wann man Ziehen darf und wann nicht, ansonsten landet man in den saugroben Nordseewellen. Bei dem Seegang bleibt vom Modell nichts übrig, es wird von der See zermahlen. Von der Sensibilität des Höhenruders werde ich selbst jedesmal aufs Neue überrascht, wenn ich das Modell reaktivere. Manche Piloten würden das Höhenruder als extrem fickrig bezeichnen, man darf es auch "extrem direkt" oder einfach nur "sportlich" nennen. Handzahm geht jedenfalls anders!

Im Großen und Ganzen ist das Fliegen bei Sturm aufregend, aber man muss vor allem immer auf der Höhe des Geschehens sein. Sonst hat man ein Modell weniger! Ohne Training würde ich wohl eher 2,5m Spannweite empfehlen, wenn man sich partout solche Hammertage antun will. Ist der Wind konstant, ist der »Sturmtänzer« ganz spaßig zu fliegen, die Wendigkeit lässt grüßen und wenig Wünsche offen.

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Abb. 4: Sturm mit 9 Bft an der Hafenmole

Wieviel Wind geht denn nun, wo liegt das Limit? Das haben wir uns auch gefragt und dazu war diese Sturmwoche perfekt. An einem Tag hatten wir am frühen Nachmittag "traumhafte" Bedingungen, der Big Day war da: Der Weltempfänger meldete für die Deutsche Bucht Sturm mit orkanartigen Böen, in Worte übersetzt 9-11 Bft Wind. Schön! Ein Tag, an dem Vögel besser zu Fuß gehen.

Also alles Blei rein, das Modell wog flugfertig gute 1,1kg. Mehr passte einfach nicht in den Rumpf und unter den Flügel. Nimmt man das Modell in dem Zustand zu Hause in die Hand, ist man fest davon überzeugt, dass eher ein Stein in der Luft bleiben wird, als dieses Modell. Draußen am Hang fragt man sich dagegen, wieso man auf die idiotische Idee kommen konnte, nicht gleich auf 2 kg aufzubleien? Das mit den mickrigen 1,1kg kann, ja das wird keinesfalls gut gehen! Zwischen diesen Mühlsteinen lebt es sich nicht gut und den Überlegungen machte zum Glück das fehlende Rumpfvolumen ein Ende. Sonst wäre ich wohl nie rausgegangen, in den tobenden Orkan.

In meinem Leben hatte ich bis dato zwar schon Windstärken bis 12 an der Küste erlebt, aber nie angesichts dieser bekloppten Idee, da noch irgendwas anderes zu tun, als irgendwie gesund und heil heimzukommen. Das ist doch nur eine runde 10 sagt das Gehirn, der Bauch enthielt sich zum Glück abgesehen von nervösen Bauchschmerzen einer weiteren Äußerung. Der erste Weg ging wie üblich zum Hafen, W-NW mit einer mittleren 10, in Böen 11. Und einfach böig, aber nie unter 9. Wir also wieder zum Westkopf. Der Weg dahin ist kaum zu beschreiben: Das Modell war nur horizontal in Flugrichtung zu halten und auch nur an beiden Flügeln. Hätte Eckhard am Rumpf gehalten, er wäre glatt abgerissen. Bei jedem Modell wäre das passiert, so gewaltig zerrte der Sturm am Modell. Der Wind bellte. Gehen war kaum möglich, wir krochen zeitweise, um uns den Böen zu erwehren. Unter dem Motto 3 Schritte vor, 2 zurück, bewegten wir uns nach vorne. Irgendwann waren wir dann da, genau bei Tiefebbe, bei immer noch mörderischem Seegang im Seegatt Wichter Ee, Donnergrollen von unten, Bellen von oben. Also nichts wie nach vorne, raus an die Kante. Dort ging es dann halbwegs, aber Gischtfetzen flogen gelegentlich vorbei, weswegen ich die Anlage bis zum Start unter meinen Anorak versteckte.

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Abb. 4: Das "Norderneyer Profil" - unter Deichbauern
müssen definitiv Modellflieger sein!
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Abb. 5: Die NW-Kante, links im Bild der Maschendrahtzaun
und die Betonwand

Dann standen wir am Startplatz. Zum Glück gibt es da eine Betonwand, an die ich mich anlehnen konnte, der Wind hätte mich beim Fliegen umgeworfen, man kann sich nicht gleichzeitig auf ein Modell und darauf konzentrieren, vom Sturm nicht umgeworfen zu werden. Das Atmen ist sehr unangenehm in der Situation, ein hoher Gegendruck und man fühlt sich zugleich mit dem Rücken an die Wand genagelt. Trotz der umgebenden Weite könnte man angesichts dieser Situation klaustrophobische Anfälle bekommen. Unten rollten die Wellen an den Strand wie bei einer Sommerflut, mit dem Unterschied, das gerade Ebbe war! Da stand eine 1,5m Welle, schönen Dank und wo soll ich notlanden? Zu dem Zeitpunkt war mir ohnehin klar, dass das Modell unwiederbringlich verloren ist...

Eckhard hatte allergrößte Mühe das Modell irgendwie festzuhalten und nicht umgeweht zu werden. Der Sturmtänzer zappelte wie wild in seinen Händen, wie sehr der Name passt, wurde mir in dem Augenblick klar und schon hing er in der Luft! Das Zappeln war sofort weg, ruhig stieg er 10, 15m hoch. Ich hatte echt Glück, gerade war die Luft böenfrei. Also schnell nachgetrimmt, Ausschläge verkleinert, die Reaktion war höllenmäßig bei der Fluggeschwindigkeit. Dann kam ein Böen Set hereingeknallt, wie ich es noch nicht erlebt hatte. Das Modell zuckelte um alle Achsen, vielleicht 20°? Wahnsinn, aber es stand am Himmel wie festbetoniert. Dabei war um die Längsachse die Hölle los, blitzschnell um 90° gedreht, Gegenruder, zack, Lage Null, 45° in die andere Richtung, Gegenruder, schwänzeln, zur Abwechslung mal eine Höhenruderkorrektur, dann wieder Quer... Binnen Minuten war ich mit den Nerven fix und fertig. Kurz Atem holen, ein paar Sekunden nur, dann kam das nächste Böen Set rein und auf ein Neues! Das Spiel lief rund 20 Minuten und in einer ruhigen Sekunde knallte ich das Modell ganz schnell auf den Beton. Jetzt zahlte sich die Auslegung als Mitteldecker aus, zumal der Flügel mit 0° Sehnenwinkel zur Rumpfunterseite montiert war. Etwas Höhenruder gezogen, das erzeugt ordentlich Abtrieb und verringert nochmals den Anstellwinkel und das Modell lag festgenagelt und ruhig, als läge es im Wohnzimmer auf dem Couchtisch.

So, das war's also: Modell heil und ich mit den Nerven völlig am Ende. Nach der Landung haben mir die Beine gezittert, wie noch nie, die Hände wurden plötzlich ganz warm, als hätte ich die ganze Zeit Handschuhe getragen, der Magen hatte sich beruhigt und ich musste dringend wohin... Die Luft roch auf einmal so großartig salzig und frisch, das Gras war grüner, der Himmel blauer, die Wolkenfetzen fegten nicht mehr übers Land, sie flogen und langsam kam wieder die Wärme in die Nasenspitze zurück. Nach dem Fliegen hatte ich selten ein so befreiendes Gefühl gehabt, wie nach diesem einen Flug.

Kaum zu Hause angekommen, habe ich mich ins Bett gelegt und 3 Stunden wie ein Toter geschlafen. Bei solchen Bedingungen werde ich nie wieder mit einem so kleinen und leichten Flieger rausgehen. Aber mit einem 1,5m Hangflitzer vielleicht...

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Abb. 6: Der Nordhang trägt leider nur mäßig trotz 7-14m Höhe,
das Hangprofil ist insgesamt etwas zu flach

Hier noch ein Foto aus dem darauffolgenden Sommer: Das hier ist der Nordhang, nach links geht es Richtung Westkopf. Diese Betonplatten sind das Landefeld, mit 5m nicht breit, aber es genügt. Selbst 3m Modelle kriegt man da runter, die sollten aber schon robust sein.

Man sieht, es weht gerade ein leichter W-NW. Bei solchen Bedingungen mit wenig Böen und halbwegs konstantem Wind lässt sich das Modell hervorragend fliegen und bereitet keinerlei Schwierigkeiten. Unter Extrembedingungen wird es aber tricky!

 

Flugeigenschaften

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Abb. 7: Sonnenuntergang Westkopf Winter '91

Beginnen wir mit dem interessantesten, den Flugeigenschaften und gleich der unangenehmsten: Das Modell neigt dazu, beim Angriff von heftigen Böen um die Hochachse zu schwänzeln. Vermutlich ist das Seitenleitwerk mit 10-6% Profildicke unten im Ansatz etwas zu anstellwinkelunempfindlich und das wirkt sich bei einer etwas schwer gebauten Tragfläche (300g mit Servos) offensichtlich nicht günstig aus. Schwere Außenflügel unterstützten solche Schwingungen. Die Seitenleitwerksfläche selbst zu verkleinern oder zu vergrößern habe ich erst später getestet, das könnte ein wenig bringen. Die Massenverteilung zu verändern, indem man einen schweren Rumpf einsetzt und eine leichtere Tragfläche baut, wäre auch eine mögliche Maßnahme.

Zur Untersuchung des Phänomens habe ich 1999 einen zweiten Rumpf (Æ-13 V2) gebaut, um die Flugeigenschaften um die Hochachse zu überprüfen. Bisher konnte ich diesen Rumpf leider noch nicht in ähnlichen Bedingungen fliegen, weil dazu schlicht und einfach der starke, böige Wind fehlte. Der Nachfolger Æ-49 V1 »Sturmtänzer II« fliegt deutlich vorhersehbarer, schwänzelt aber auch ein wenig, insgesamt aber kein Vergleich. Die kleine Spannweite verbunden mit den Hebelarmen scheint die Ursache zu sein und bei dem kleinen Seitenleitwerkshebelarm scheint das zu verschärften Problemen bei stark böigen Windbedingungen zu führen. Ganz eliminieren wird es sich nicht lassen, denn selbst Silbermöwen schwänzeln unter diesen Bedingungen.

Einen schrägen Böenangriff kann man also technisch nicht voll kompensieren, allerdings lässt sich das Abklingverhalten der Schwingung durch konstruktive Maßnahmen sicherlich verbessern. Mit der Seitenleitwerksfläche und -streckung sollte man in jedem Fall experimentieren. Kurzum: Hinter diesem Thema verbirgt sich ein umfangreiches Flugversuchs- und Entwicklungsprogramm.

Das Höhenruder ist soweit in Ordnung, bereitet aber Probleme beim Maximalauftrieb, der schlichtweg zu klein ist. Es macht insofern durchaus Sinn, die Elevons in der Länge auf 2/3 der Spannweite zu begrenzen, um bei Höhenruder etwas mehr Maximalauftrieb zu Lasten des induzierten Widerstands zu generieren. Der geringe Maximalauftrieb ist selbstverständlich auch eine unmittelbare Folge des Profils.

 

Profilierung

Das Profil HS-7, was aus Zeitgründen aus einem modifizierten Horten II 50% mod. 1,1/6,5% Styroporkern durch Beplankung mit 1,5mm Balsa entwickelt wurde, ist in dieser Form etwas zu auftriebsschwach für so einen kleinen Hangflitzer. Dazu sehen wir uns kurz einmal die Widerstandspolare des Profils HS-7 ohne Klappenausschlag an.

Widerstandspolare HS-7
Abb. 8: Maximalauftriebsbeiwert Basisprofil HS-7 im Langsamflug, Widerstandspolare X-Foil

Die Widerstandspolare zeigt im Auftriebsanstieg deutlich die Achillesferse des HS-7 auf, bei dem schon der maximale Auftriebsbeiwert ohne Klappenausschlag unter 1,0 liegt. Beim Einsatz des Höhenruders (Elevons) wird dieser Wert noch einmal um rund 20% reduziert. Zuzüglich einer zu erwartenden laminaren Ablösung im Klappenbereich liegen wir bei satten 25-30% Abschlag, also liegt der effektiv nutzbare ca_max bei 0,65..0,70 im Langsamflug. Aber trotz der genannten Einschränkungen funktioniert das HS-7 grundsätzlich gut, auch wenn die Elevons bei mittlerem Sturm leicht nach oben getrimmt werden müssen. Die Momentenbeiwertskurve zeigt nahe Nullauftrieb negative Werte an, was ich aus dem Flugversuch bestätigen kann, die Elevons stehen leicht nach oben aus dem Strak.

Als vernünftige Untergrenze würde ich 1,5% Wölbung ansehen, das macht einfach mehr Spaß. Bei einem Brett mit 2-3m Spannweite hätte ich keine Bedenken, das HS-7 einzusetzen, weil die Flügelstreckung den Langsamflug unterstützt. Weil das Querruder bei einem Brett zugleich immer ein Moment um die Querachse bewirkt, müssen wir bei so einem Speedbrett wie dem hier ohnehin eine spezielle Querruderdifferenzierung und Schwerpunktlage finden, die uns ein neutrales Rollenfliegen erlaubt. Das ist unabhängig davon, ob wir nun 1,0% oder 2,0% Wölbung haben, sicher ein Unterschied zu den Leitwerklern. Einen Looping zu drehen macht mit 1,1% Wölbung weder Spaß, noch ist es an so einem kleinen Hang möglich. Deswegen tut uns etwas mehr Wölbung wirklich überhaupt nicht weh. Bei gut 2% Wölbung würde ich für diese Modellkategorie die Obergrenze sehen, wir wollen ja nicht Thermikfliegen!

Zur Dicke würde ich mal sagen, dass weniger als 10% obligatorisch sind. Eine Profildicke von 8% ist erheblich weniger anfällig auf Böenangriffe als 10%, allein schon aus diesem Grund ergibt ein dünneres Profil Sinn, ganz unabhängig vom geringsten Profilwiderstand. Vom Nullwiderstandsbeiwert her wären zwar auch 9% vertretbar, aber wir reden hier über ein Speedbrett, insofern sind 7 bis 9% im Endeffekt vernünftig. Profile mit 7% und weniger fliegen sich bei hoher Flächenbelastung schnell giftig, das Überziehverhalten wird kritisch, das Brett kippt bei einem Strömungsabriss dann schlagartig ab, wie das Profil HS-6 mit 6,5% gezeigt hat. Im Endeffekt haben sich aus meiner Sicht 8% Profildicke in diesem Bereich über alle Kriterien sehr gut bewährt.

Wer sich trotz der geschilderten Probleme für so ein Modell entscheidet, dem würde ich zu einem Profil ähnlich »Phönix« mit 2,0% Wölbung bei gleicher Dicke von 8,0% raten. Ein Ergebnis solcher Überlegungen war das HS-8 (HS-2.0/8.0). Es ist etwas besser als das ausgedünnte Phönix und hat ein etwa doppelt so großes cm0 (+0,0110). Das HS-144 oder ein höher gewölbtes HS-7 sind ebenfalls geeignete Kandidaten, genauso wie das PW51 jüngeren Datums, das heutzutage oftmals bei solchen Brettern eingesetzt wird. Bei Interesse einfach im aerodesign Profilkatalog für Brettnurflügel stöbern, da findet sich sicher ein geeignetes Profil für ein solches Projekt.

 

Stabilitätsmaß und Nullmomentenbeiwert

Das Basisprofil »Horten HII« ist von Haus aus momentenneutral, also cm0=0. Wir haben hier eine Brettnurflügel Auslegung, daher ist dieser Auslegungspunkt nicht ganz optimal, weil die Elevons selbst im Sturm noch knapp 2mm nach oben aus dem Strak stehen, was den Trimmwiderstand erhöht. Bei Sturm fliegt man höhere Stabilitätsmaße als normal, also durchaus 8 bis 16%, während man bei Schwachwind eher 5 bis 8% nutzt. Eine Auslegung des Profils mit cm0 = +0,01 ist also eher angebracht, angesichts unserer Speed Ambitionen langt das auch wirklich. Die Trimmwiderstände sollten bei maximalem Speed gering sein, das heißt erst bei Windstärke 11-12 müssen die Klappen im Strak stehen und vorher nicht. Dieses war damals die Grundidee, als ich mich für die vorhandenen Kerne mit dem momentenneutralen Profil entschied, was damals bei Brettern ein neuer Ansatz war.

 

Konstruktion

Der Flügel besteht aus Styropor® PS15 und 1,5mm Balsa. Das Ganze mit nur drei NF24 Kohlefaserrovings (1600tex) je Gurt verstärkt, ohne Holmsteg, damit man das Modell bei der Landung schadlos mit voller Wucht auf den Beton knallen kann! Dieses Problem lässt sich grundsätzlich konstruktiv auf zwei vollkommen unterschiedlichen Wegen lösen: Entweder extrem massiver Holmsteg und viel Kohlefaser in den Holmgurten (10-12 Rovings) oder zäh und arbeitsaufnahmefähig, mit nur wenig CFK im Holmgurt und ohne Steg. Diese Lösung habe ich beim »Sturmtänzer« realisiert. Die Randbogenkonstruktion ist konventionell gehalten, aber vielleicht doch nicht ganz uninteressant, deswegen habe ich dazu ein Bildchen vorbereitet.

Zeichnung
Abb. 9: Prinzipskizze der Sandwichbauweise vom Tragflügel mit Randbogen

In der Endleiste liegt ein NF12 C-Roving und unter der Beplankung 2 Lagen 40er E-Glas, (Webart: Leinen) ansonsten nur eine Lage diagonal. Wie der Rest im Detail aufgebaut ist, bitte unter Positivbauweise nachlesen. Hinten an der Verschraubung ist ein Balsaklotz in den Flügel eingelassen, in dem verschwindet der Schraubenkopf der 5er Nylonschraube. Am Ende wird der Flügel mit verdünntem Porenfüller angestrichen, mit 400er Papier geschliffen, einmal feucht abgewischt (wer hat: Staubbindetuch) und dann mit Bügelfolie bespannt.

Der Rumpf besteht aus 4er Balsa, das man für solche Einsätze mit Kevlar® oder 50mm Tesatape überziehen sollte. Alles andere (Glas, CFK) hält den schockartigen Lasten bei den knallharten Landungen auf dem Beton nicht stand. Irgendwann zerlegt sich das Zeug. 50mm breites Tesa® (das gelb-braun-transparente) oder Strapping Tape sind für diesen speziellen Zweck das Beste, weil es bei allen Temperaturen enorm schlagzäh ist. Da kommt keine Bügelfolie dieser Welt auch nur annähernd heran. Kommt es unter dem tesa® zu Brüchen, muss man das nur mit einem Messer anritzen, Sekundenkleber reinlaufen lassen und nach ein paar Minuten übertapen, fertig. Das wichtigste dabei: Die Teile bleiben immer zusammen, selbst beim Vollbruch! Da fliegt nichts weg, weswegen ich diese Tesatapung als Umwicklung vom Rumpf wirklich weiterempfehlen kann. Eigentlich aus der Not geboren, hat sich das als sehr gute Konstruktionslösung für Prototypen mit Balsarumpf herausgestellt.

 

Fazit

Der Einsatzbereich endet für dieses Modell in der Küstenfliegerei bei Wind unterhalb von 4 Bft. Dass in der Hinsicht mehr möglich ist, zeigt der Nachfolger (Æ-49 Sturmtänzer II) mit dem MH-30. Aber das Brett ist im direkten Vergleich von Sturm bis Orkan definitiv nicht zu schlagen, denn der Trimmbereich ist wesentlich breiter. Der »Sturmtänzer I« ist vor allem aufgrund der geringen Größe fliegerisch nicht ganz so einfach zu beherrschen, macht aber trotzdem sehr viel Spaß und hat auch im Sommer viele Flugstunden absolviert.

Lediglich die Farbe würde ich ändern, denn bei der Farbe Weiß verwechseln die Möwen das Modell oftmals mit ihresgleichen und brauchen 2-3 Tage, um sich an den neuen Küstenbewohner zu gewöhnen. Nach dieser Zeit kennen sie das Modell und es interessiert sie auch nicht weiter. Ein Flugmodell in der Farbe Rot führt dagegen sofort zu einem gebührenden Respektabstand der Möwen, bereits am ersten Tag. Ab Windstärke 8 haben die Möwen übrigens mit sich selbst genug zu tun und ab 10 Bft gehen die meisten zu Fuß. Insofern ist die Farbgebung nur von 4 bis 7 Bft relevant, aber genau in diesem Windfenster kann man mit »Sturmtänzer I« so wundervoll entspannt am Hang cruisen...

Zuletzt die Gretchenfrage: Würde ich den Sturmtänzer wieder bauen? Klare Antwort: Jederzeit! Nur altersbedingt dezent modifiziert: Mehr Spannweite, Ballastrohre in Rumpf und Flügel, HS-7 mit vielleicht 1,6% Profilwölbung, ein Seitenruder für perfekte Turns am Hang und Farbe frei nach Richthofen: Knallrot!

Technische Notizen

 

Quellen- und Literaturnachweis