Diese Modellreihe ist mein Dauererprobungsträger in Sachen Thermik- und Hangflug seit nunmehr 27 Jahren. Der Artikel behandelt die Entwicklung der V1 bis V3 und die Unterschiede zum æ-50 V1 »Nordic Vulture«, der auf dem Freiflugmodell der ehemaligen Freiflug Klasse A2 basiert. Der Rumpf »Vulture« ist ein Eigenbau und entspricht beim Hebelarm exakt dem Freiflugrumpf, lediglich das Seitenleitwerk wurde vergrößert und der Vorderrumpf verlängert. An diesen Rumpf lassen sich drei unterschiedliche Tragflügelsätze stecken und die Schwerpunktlage passt ohne Bleizugabe.
Die Dreiseitenansicht sieht auf den ersten Blick etwas unübersichtlich aus, aber zeigt den Erprobungsumfang des Rumpfes »Vulture« mit den Tragflügeln »Electra« (æ 51 V1-3) und »Nordic« (æ 50 V1) mit vier unterschiedlichen Pendel-Höhenleitwerken. Der Umfang der Eprobung mit diesen 8 möglichen Konfigurationen bestehend aus 4 unterschiedlichen Höhenleitwerken mit 2 Tragflügeln hat mir damals gereicht und lief über insgesamt 3 Jahre. Die Erprobung des Tragflügels »Amigo« (Graupner) an diesem Rumpf war damals geplant, aber ich habe diese Kombination bis heute nicht getestet. Die leistungsfähigste Konfiguration der ersten Versuchsreihe war die »Electra Vulture« V3, die das dezent gewölbte Höhenleitwerksprofil ganz unten in der Reihe hat. Das Profil ist aus einem 4mm Balsabrett handgeschliffen, mit sehr dünner Endleiste.
Dieses Höhenleitwerk mit der ursprünglichen Spannweite von 630mm (durch Beschädigungen ist es auf 612mm geschrumpft) bietet über den gesamten Einsatzbereich das beste Handling bei gleichzeitig sehr niedrigem geringsten Sinken. Zwischen der besten und der ungünstigsten Kombination liegt eine Differenz von knapp 0,1 m/s Sinken, was überraschend viel ist. Daran sieht man aber sofort, wie elementar die Optimierung des Zusammenspiels von Höhenleitwerk und Tragflügel ist. Aus meiner Sicht wird das der nächste und möglicherweise letzte Quantensprung im Bereich der Leitwerkler sein, denn das Optimierungspotential wird unterschätzt. Es geht dabei nicht um den cleanen Widerstandsbeiwert, sondern um die Toleranz eines Profils bezüglich der Störung durch die Wirbel und Nachlaufdelle vom Tragflügel. Und mancher absurd lange Leitwerksträger würde deutlich kürzer ausfallen, wenn das Zusammenspiel beider Profile ordentlich erprobt worden wäre.
Im geringsten Sinken sind der A2 Freiflug-Tragflügel »Nordic« und die »Electra« fast ebenbürtig, was eine kleine Überraschung war. Dort hatte ich einen klaren Vorteil des »Nordic Vulture« erwartet, aber genau den gab es nicht. Der große Unterschied besteht im Gleit- und Schnellflug, dort ist das stark gewölbte Freiflugprofil ähnlich NACA 6407 nicht konkurrenzfähig. Das Profil vom Typ gerade Unterseite mit 9,5% Dicke liegt im Allroundeinsatz klar vorne. Deswegen habe ich die weitere Entwicklung auf die Variante »Electra Vulture« (æ 51 V1-5) fokussiert und verwende die Version æ 50 V1 »Nordic Vulture« nur noch in Ausnahmefällen bei speziellen Wetterlagen.
Diesen Tragflügel meiner »ELECTRA« der Firma Carl Goldberg aus dem Jahr 1987 fliege ich seit vielen Jahren und es ist der Tragflügel, mit dem ich mit Abstand die meisten Flugstunden absolviert habe. Der Originaltragflügel ist nicht direkt verwendbar, weil die V-Form etwas zu groß ist. Das Original taumelt deutlich, wie man im Video sehen kann (Video Wingnut639). Die V-Form habe ich daher in der Flügelmitte auf 0° gesetzt und bei der V1 außen noch bei 14°. Später bin ich auf 13°, dann 12° und heute auf 10° zurückgegangen. Weniger sollte es nicht sein, dann wird die Reaktion auf das Seitenruder zu träge. Mit 10-12° V-Form ist das Kurvenflughandling unter allen Wetterbedingungen sehr ausgeglichen und erlaubt enge Kurven mit geringstem Höhenverlust. Genau das macht einen perfekten Thermiksegler aus!
Man möge mir den peinlich oberlehrerhaften Kommentar verzeihen, aber ein kurzes Plädoyer in Sachen Modellentwicklung muss in R2F Zeiten erlaubt sein: Liebe Kinder, hört endlich auf, ständig neue CFK-Kisten zu kaufen, das bringt nichts! Davon lernt niemand besser zu fliegen, das macht nur den Geldbeutel leerer. Ihr macht genau dieselben Fehler wie vorher, aber mit dem neuen Teil habt ihr keine Chance, diese zu bemerken. Fangt endlich an, wirklich fliegen zu lernen. Kauft ein Modell, fliegt es, repariert es und mit jeder Macke und Falte wird es besser werden. Arbeitet an den Details, bis alles zu eurem eigenen Flugstil passt.
Am Ende einer solchen Entwicklung habt ihr ein ähnlich perfekt abgestimmtes Modell wie meine »Electra Vulture V5«. Die fliegt auch mal eine Stunde für sich allein, ohne Eingriff des Piloten. Und wenn man partout rumknüppeln will, dann reagiert sie sehr sensibel auf jeden Steuerbefehl, obwohl sie keine Querruder hat. Eine Rolle ist kein Problem und gelingt mit etwas Übung für so einen Ohrenflieger erstaunlich rund, ebenso enge Loopings. Eine gute Abstimmung fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Und hier habe ich aus verschiedenen Tragflügelresten und Überbleibseln vom Dachboden einen Flieger zusammen gebaut, der mir viel mehr Spaß und unbeschwerte Flugstunden bereitet hat, als manches High-End-Gerät.
Zu diesem Flieger gibt es einen netten Kommentar meiner Freunde von RC-Network.de, als ich mal wieder beim Sunsetfliegen als letzter in der Luft hing: "Dein Modell wird allein aufgrund seiner Hässlichkeit vom Boden abgestoßen!" Dem ist wenig hinzuzufügen, aber solange es fliegt, ist es das schönste hässliche Modell der Welt - und dieser Segler fliegt ewig!
© Hartmut Siegmann 1988-2015
Impressum