Als Charles Lindbergh 1927 vom Roosevelt Field auf Long Island zum ersten Alleinflug über den Atlantik startete und nach 33 1/2 Stunden in Paris landete, da wurde er nicht nur von einer großen Menschenmenge erwartet - das Ereignis war eine Weltsensation.
Im vergangenen Jahr gab es, 71 Jahre nach der fliegerischen Meisterleistung des Amerikaners, ein vergleichbar sensationelles flugtechnisches Ereignis, das aber von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt blieb: die erste Atlantiküberquerung eines unbemannten Flugzeuges per Autopilot oder genauer eines Modellflugzeuges! Es handelt sich dabei um eine sogenannte Aerosonde, einen Flieger mit 2,90 Meter Spannweite, einem 26 Kubikzentimeter-Verbrennungsmotor, doppeltem Leitwerksträger mit umgekehrtem V-Leitwerk und einem Startgewicht von 13 Kilogramm.
Der erfolgreiche Flug startete am 20. August um 9.59 Uhr Ortszeit auf dem Bell Island Airport auf Neufundland. Gestartet wurde die Aerosonde mit dem Namen "Laima" (nach einer litauischen Glücksgöttin benannt) von einem speziell konstruierten Gestell auf dem Dach eines Pkw, der auf Abhebgeschwindigkeit beschleunigt wurde. Die Aerosonden haben nämlich aus Gewichtsgründen kein Fahrwerk. Während des Startvorgangs - und knapp 27 Stunden später auch bei der Landung - wurde die "Laima" manuell per Fernsteuerung manövriert. 38 Minuten nach dem Start und etwa 40 Kilometer vom Startplatz entfernt wurde auf Autopilot umgeschaltet, der seine Flugdaten auf UKW über das Global Positioning Satellitensystem (GPS) bezog. Dann machte sie sich auf in Richtung Schottland, genauer: Äußere Hebriden. Hier landete sie am 21. August 26 Stunden und 45 Minuten später nach 3270 Kilometern auf der Benbecula Range auf der Insel Uist vor der Westküste Schottlands, wohlbehalten von einem Piloten per Fernsteuerung gelenkt, auf dem Bauch, nachdem sie von ihrer Reiseflughöhe von etwa 1680 Metern automatisch bis auf 150 Meter abgestiegen war.
Die "Laima" ist eines von vier Flugzeugen des Aerosonde Phase-1-Typs, die zwischen dem 17. und 20 August 1998 auf Bell Island auf die Reise geschickt wurden. "Piper" ging bald nach dem Start verloren. Die Ursache, so stellte sich heraus, war ein Softwarefehler, der die Umschaltung von manueller auf automatische Kontrolle verhinderte. "Trumper" und "Millionaire" stürzten über dem Atlantik ab. Hier ist die Ursache unbekannt, weil es während des Fluges keine Kommunikation mit dem Flugzeug gibt. Nach Auswertung der während des historischen Rekordfluges gesammelten Daten zeigte sich, dass die 'Laima' ihren vorher errechneten Flugplan nur um 15 Minuten verfehlt hatte.
Von den sieben Litern Treibstoff, mit denen sie am Tag zuvor in die Luft gegangen war, hatte sie 5,7 Liter verbraucht. Das entspricht einem Durchschnitt von 570 Kilometern pro Liter bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde! Eine Leistung für das Buch der Rekorde. Die Satellitenauswertung der Flugroute ergab zudem, daß "Laima' zwischen 14 und 18 Stunden, also den größten Teil der Reise, durch mäßigen bis starken Regen geflogen war. Im Rumpf wurde nach der Landung Wasser gefunden. Während seiner gesamten Reise hatte das Robotflugzeug Rückenwind, der bis zu 70 Stundenkilometer schnell war. Außerdem sammelte die Aerosonde Daten über ihre GPS-Position, die Höhe und die Windgeschwindigkeit.
Seit 1992 läuft die Entwicklung der Aerosonde. Und vor der erfolgreichen Atlantiküberquerung waren Aerosonden bereits über 800 Stunden in der Luft. Die erste von bis zum August 1998 absolvierten sieben 24-Stunden-Missionen konnte im November 1996 gefeiert werden. Der längste Flug in der Testphase dauerte 31 Stunden, und den ersten komplett per Autopilot gesteuerten Flug (inklusive Start und Landung) gab es im Februar des vergangenen Jahres. Geflogen wurde bis auf 5.000 Meter Höhe. Die Aerosondes flogen dabei in Australien, den USA. Kanada, Hongkong, Taiwan und Großbritannien.
Maßgeblich an der Entwicklung beteiligt sind u. a. das Australian Bureau Of Meteorology, die University of Washington und zwei Firmen namens Insitu sowie Environmental Systems and Services (ES&S). Zu den Sponsoren des Projekts gehören auch die Wetterdienste von Kanada, Taiwan und den USA sowie Firmen wie Boeing. Und damit ist auch klar, wofür die Aerosonde-Typen gebaut werden: Sie sollen zur Wetterbeobachtung über dem Atlantik und Pazifik eingesetzt werden, und meteorologische Daten wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur erfassen. Besonders hofft man darauf, die Aerosonde-Flieger, von denen es bereits eine ganze Armada gibt zur Frühwarnung vor Wirbelstürmen und Hurrikans einsetzen zu können. So gelang es im Januar 1998, einen Flieger ins Auge des Zyklons "Tiffany" zu steuern, der an der australischen Westküste seine zerstörerische Bahn zog. Welche Wichtigkeit dieses Projekt allein auf dem fünften Kontinent besitzt, zeigt die Tatsache, daß es nicht nur steuerlich gefördert wird, sondern sich mit Ian Macdonald auch der parlamentarische Staatssekretär des australischen Umweltministers mit der Sache befasst. In den USA sollen besonders die Vorhersagen an der Westküste vom Einsatz der Aerosondes profitieren. Verallgemeinernd lässt sich nämlich sagen, dass sich das Wetter in Nordamerika von Westen nach Osten bewegt, so daß man an der Ostküste auf die Daten der Wetterstationen im Landesinneren zurückgreifen kann. Die Wetterfrösche an der Westküste müssen sich dagegen für ihre Vorhersagen mit einer dürren Datenbasis begnügen, die auf den eher spärlichen Informationen beruht die vom kommerziellen Schiffs- und Flugverkehr über dem Pazifik sowie von Satelliten geliefert werden. Dazu kommt daß es wenig Daten über die Wetterbedingungen zwischen der Wasser- bzw. Landoberfläche und der Flughöhe des kommerziellen Flugverkehrs von etwa 10.000 Metern gibt. So erhofft sich Clifford Mass, Professor für Atmosphärenforschung an der University of Washington, eine wesentliche Verbesserung der kurz und langfristigen Vorhersagemöglichkeiten durch den Einsatz der Aerosonden, denn: "Die groben Fehler in unseren Vorhersagen beruhen gewöhnlich auf fehlenden Daten..."
Den Anstoß zu diesem Artikel gab mir ein Bericht in einem österreichischen TV-Magazin. Anschließend begann ich Presseartikel zu recherchieren und im Internet nach Informationen zu suchen, die relativ leicht zu finden sind, wenn man in einer Suchmaschine den Begriff" Aerosonde" eingibt. Trotz der vielen Informationen sowie diverser (unbeantworteter) E-Mails an mit dem Projekt befaßte Institutionen ist mir eines nicht gelungen, nämlich herauszufinden, was uns Modellflieger am meisten interessiert - die modelltechnische Ausrüstung und maßgebliche Flugzeugdaten. Nirgends waren Angaben über die RC-Komponenten oder das verwendete Profil zu finden. Lediglich an einer Stelle hieß es zum verwendeten Motor "LL Avgas". Vielleicht habe ich nur nicht an der richtigen Stelle gesucht. Sollte jemand darüber Angaben haben, so wäre ich dankbar dafür, wenn er sie mir zur Verfügung stellen würde. Denkbar ist aber auch, daß diese Angaben geheim sind. Denn die US-Behörden halten eine militärische Nutzung der Aerosonde für möglich und haben sie deshalb auf die Liste genehmigungspflichtiger Güter gesetzt. Da auch offizielle US-Behörden wie das Office Of Naval Research in das Projekt involviert sind, es also finanziell unterstützen, könnte diese Förderung mit der Forderung verknüpft sein, keine relevanten Angaben darüber zu publizieren. (Dies gilt offensichtlich wohl auch für die beteiligten Partner in den anderen Ländern.)
Aerosonden sind nicht die einzigen unbemannt fliegenden Flugzeuge, die in letzter Zeit für Aufsehen gesorgt haben: über Hawaii stellte der Nurflügler Pathfinder Plus wenige Monate vordem Flug der Aerosonde mit einem Flug auf fast 25.000 Meter einen einsamen Rekord für propellergetriebene Fluggeräte auf. Nur der düsengetriebene US-Aufklärer SR-71 kann noch höher steigen, bis auf etwa 30.000 Meter. Dabei ist der Pathfinder Plus ebenfalls eine sehr ungewöhnliche Konstruktion. Der Nurflügel hat eine Spannweite von 36 Metern (sieben Meter mehr als eine Boeing 737) bei einem Gewicht von nur 300 Kilogramm. Der Antrieb erfolgt über acht Elektromotoren, die ihren Saft aus Solarzellen beziehen, mit denen die gesamte Flügeloberfläche bedeckt ist. Die Fluggeschwindigkeit beträgt nur um die 30 Stundenkilometer.
Der Hersteller des Pathfinder Plus, AeroVironment in Kalifornien, arbeitet bereits an einem Nachfolger: Der Centurion soll eine Spannweite von 62 Metern haben. 14 Elektromotore mit einer Leistung von je etwa 2 PS sollen ihn auf eine Höhe von 100.000 Fuß oder etwa 30 Kilometer steigen lassen.
Im Gegensatz zu den Leichtbautypen, die für die Erforschung der Erdatmosphäre vorgesehen sind, setzt die US-Luftwaffe auf schwere und schnelle unbemannte Flugzeuge als (Fern-)Aufklärer. Im Februar 1998 stieg von der Edwards Airforce Base in Kalifornien der von der in San Diego beheimateten Teledyne Ryan International gebaute Global Hawk ab. Vollautomatisch startete das 15 Meter lange, zehn Tonnen schwere und über eine Spannweite von 35 Metern verfügende Superflugzeug, stieg bis in 10.000 Meter Höhe und landete nach 56 Minuten wieder wohlbehalten. In Zukunft soll der unbemannte Aufklärer in Höhen von bis zu 20.000 Metern operieren: Dabei hat er eine Reichweite von 25.000 Kilometern und kann bis zu 42 Stunden in der Luft bleiben. Damit können die US-Militärs beinahe jeden Punkt auf der Erde überwachen, ohne befürchten zu müssen. das sich das U-2-Drama noch einmal wiederholt. 1960 war der Höhenaufklärer über der Sowjetunion abgeschossen worden und sein Pilot Gary Powers, der sich retten konnte, geriet in Gefangenschaft. Der Zwischenfall hatte eine schwere diplomatische Krise mitten im Kalten Krieg zur Folge.
Auch wenn es kein offizielles Wettfliegen war: Mit der Atlantiküberquerung hat das "Forschungsprojekt Aerosonde das militärische Projekt Global Hawk geschlagen. Denn auch die Militärs planten eine Atlantiküberquerung, allerdings erst für dieses Jahr. Damit hat ein "Modellflugzeug, das pro Stück unter 20.000 Dollar kostet den Zehn Millionen Dollar Global Hawk auf die Plätze verwiesen.
Frachtflugzeuge auf bisher unbenutzten Flugrouten sind ein denkbarer Ansatz, den Autopiloten-Pendelverkehr zwischen Deutschland und Mallorca wird es aber wohl noch nicht so schnell geben. In den USA sind verschiedene Firmen und Institutionen mit der Entwicklung von dem Aerosonde-Projekt vergleichbaren Fliegern beschäftigt, darunter die Stanford University und Aurora Flight Sciences in Manassas im US-Bundesstaat Virginia. Eingesetzt werden könnten die in relativ preiswerter Serienfertigung herzustellenden Flieger zum Beispiel zur Geschwindigkeitskontrolle auf Highways, zur Frühwarnung vor Waldbränden, zur Kontrolle von Überland-Stromleitungen oder zum Zählen von Viehbeständen auf großen Ranches. Dies sind natürlich Aufgaben, die vor allem in Flächenstaaten wie den USA den Einsatz sinnvoll machen.
Die Zuverlässigkeit soll weiter ausgebaut werden, ebenso die Reichweite, die erreichbare Höhe und die Flugdauer. Als Zieldaten werden eine Reichweite von 7.000 Kilometern, eine Dienstgipfelhöhe von 40.000 Fuß (entspricht 13.300 Meter) und eine Flugdauer von drei bis fünf Tagen angestrebt. Und das alles mit einem Drei-Meter-Flieger, der von einem 20- bis 40-Kubikzentimeter-Verbrenner (turbogeladen) angetrieben wird und bei insgesamt 15 Kilogramm Fluggewicht zwischen einem und fünf Kilogramm Nutzlast (z.B. Datenerfassungssensoren) mitschleppen kann, automatisch startet und landet. Ehrgeizige Ziele, aber nicht unerreichbar...
Andreas Bierling