Den Schwerpunkt hat man rechnerisch ermittelt oder der Bauanleitung entnommen und jetzt soll das neue Segelflugmodell die Topleistung zeigen, die man erwartet. Schnell macht sich Ernüchterung breit, die Flugleistung stimmt nicht. Der neue Bock ist nicht willig und stumpf wie eine alte Axt. Oftmals liegt es an der Schwerpunktlage, die einfach nicht genau genug eingestellt ist. Wir sind im niedrigen Re-Zahlbereich, da führen kleinere Abweichungen - und sei es nur Staub auf dem Modell - zu anderen Einstellungen. Die altbewährte Methode, den SWP zurücknehmen, bis sich ein flacher Abfangbogen einstellt, ist grundsätzlich gut geeignet. Aber diese Methode ist nicht ganz optimal, weil man nicht weiß, ob man wirklich die Flugleistung bis zur Stabilitätsgrenze ausnutzt. Daher habe ich meine eigene Methode entwickelt, bei der mit vertretbarem Risiko die Schwerpunktlage bis hin zur leichten Instabilität im Rahmen der Flugerprobung identifiziert werden kann.
Zunächst fliegt man mit der gegebenen Schwerpunktlage einen normalen Abfangbogen. Das bedeutet im Flug in großer Höhe Tiefenruder zu geben und dann zu beobachten, was das Modell tut. Im Normalfall nimmt es von selbst die Nase wieder hoch, überzieht am Ende des Vorgangs und fängt mehr oder weniger stark an zu pumpen, wie man das nennt. Uns interessiert aber nur der erste Teil, der Abfangbogen.
Wenn das Flugverhalten wie der Abfangbogen in der Abbildung aussieht, dann können wir den Schwerpunkt schrittweise zurück verlegen. Also entweder Trimmgewicht (Blei) aus der Rumpfnase entfernen oder hinten am Leitwerksträger befestigen. Der Abfangbogen mit weiter hinten liegendem Schwerpunkt wird zunehmend flacher verlaufen. Dann immer wieder Abfangbögen fliegen, bis das Segelflugmodell dezent zu unterschneiden beginnt. Das ist eine Schwerpunktlage sehr nahe am Neutralpunkt (Engl.: Aerodynamic Center, AC). Dieses Flugverhalten bezeichnet man auch als neutralstabil. Ab jetzt wird es kritisch, das heißt kleine Änderungen oder höhere Geschwindigkeiten können jederzeit zum Unterscheiden führen. An die Unterschneidgrenze muss man sich in Grammschritten herantasten. Diese Abfangbögen verbrauchen am Ende 200-300m Flughöhe, erst kurz vor dem Erdboden geht das Modell in den Horizontalflug über.
Wenn das Modell also ohne Eingriff des Piloten diese riesigen Abfangbögen gerade noch stabilisiert, ist man kurz vor dem Punkt des Unterschneidens. Das fängt spontan an, lässt sich aber durch kurzes und kräftiges Ziehen am Höhenruder sofort beenden. Man merkt es daran, dass ein leichtes Ziehen am Höhenruder trotz erhöhter Fahrt nicht wirkt. Das Modell fühlt sich an, als würde eine Riesenfaust tonnenschwer von oben drücken. Das Modell rast immer steiler auf Erdboden zu, trotz Ziehen am Höhenruder. Dieses Phänomen nennt sich »Unterschneiden«. Jetzt haben wir den Neutralpunkt identifiziert, die gesuchte leicht stabile Schwerpunktlage (geringe statische Flugstabilität) liegt nur minimal vor diesem Punkt.
Wenn der Punkt vom Unterschneiden erreicht ist, muss man in der Regel nur den letzten Schritt der Trimmänderung rückgängig machen, indem das letzte stabile Setup vom Flug zuvor wiederhergestellt wird. Diese Schwerpunktlage ist aus Sicht der Flugleistung bei windstillen bis leicht windigen Bedingungen perfekt. Bitte beachten, dass bei böigen Winden wieder mehr Ballast in die Rumpfnase muss, sonst kann das Modell schwer kontrollierbar werden.
Bei Schwerpunktvorlage ist das Flugzeug sehr stabil, dadurch wird bei richtiger Höhenrudertrimmung der Abfangbogen sehr kurz ausfallen. Genau hierin liegt meist bereits der erste Fehler, bei der Beurteilung der Trimmung. Wer noch nicht viel Flugerfahrung hat, vertauscht leicht Schwerpunktvorlage und Unterschneiden. Wenn die Trimmung nicht stimmt, stürzt ein Modell mit Schwerpunktvorlage scheinbar genauso wie beim Unterschneiden in die Tiefe. Der Unterschied besteht darin, dass es keine Hysterese am Höhenruder gibt, das heißt das Höhenruder wirkt die ganze Zeit über vollkommen normal. Genau an diesem Kriterium kann man leicht die Schwerpunktvorlage vom Unterschneiden infolge von Schwerpunktrücklage unterscheiden. Ganz abgesehen davon ist eine derart ausgeprägte Schwerpunktvorlage mit rechnerischen Methoden leicht zu identifizieren.
Bei geringerer Längsstabilität liegt der Fall dann klar, die Schwerpunktlage weiter hinten führt zum flacheren Abfangbogen und das ist wieder reine Flugmechanik. Dieses erkennt man daran, dass die richtige Trimmlage immer weniger Höhenruder erfordert. Am Ende kann sogar Tiefenruder für die richtige Trimmlage erforderlich sein. Unsere Flugmodelle sind so gebaut, dass bei geringem Stabilitätsmaß als erstes die Längsstabilität verloren geht, dann mit großem Abstand die Seitenstabilität. Die Rollstabilität verliert man im Regelfall nur bei extrem großen bzw. kleinen Anstellwinkeln und diese spielt daher im Rahmen dieser Abfangbogenmethode überhaupt keine Rolle. Diese allgemeine Aussage gilt im Übrigen nur für konventionelle Flugzeuge.
Ganz allgemein ist der Abfangbogen im Flugversuch per se also kein eineindeutiges Kriterium, auch ein flacher nicht. Das Unterschneiden hingegen kann eindeutig vom Piloten identifiziert werden. Das heißt der Schwerpunkt liegt unmittelbar in der Nähe vom Neutralpunkt. Deshalb ist es diese Verfahren so einfach. Der experimentell bestimmte Neutralpunkt ist dadurch ohne Berechnungen näherungsweise bekannt. Diesen Punkt sollte man sich an der Tragflügelwurzel auf der Unterseite markieren. Den Schwerpunkt vor diesen Punkt zu legen heißt stabiler zu fliegen, darauf neutralstabil bis dezent labil und dahinter instabil.
Bei mehr als 12% Stabilitätsmaß kann man sich ruhig schlafen legen, das Modell fliegt eigenstabil und sollte selbständig landen... Bei besonderen Wetterlagen fliege ich zum Beispiel auch leicht unterschneidend eingestellte Modelle, aber dann sollte man sein Modell wirklich sehr, sehr gut kennen. Die Thermikempfindlichkeit ist dann sehr gut, aber der Bock ist wirklich schwierig zu fliegen.
Bei Brettern und Schwanzlosen bis 20° Pfeilung wende ich diese Methode genauso an, wie bei konventionellen Segelflugmodellen, lediglich das Unterschneiden setzt aggressiver ein. Allgemein ist bei Schwanzlosen zu beachten, dass die Stabilitätspunkte zum Teil so eng beieinander liegen, dass auch das Kriterium der Seiten- oder in seltenen Fällen der Rollstabilität noch vor dem der Längsstabilität verletzt werden kann. Aber es bleibt festzuhalten, dass sich ein richtig ausgelegter Schwanzloser wie ein konventionelles Flugzeug verhalten wird. Wer also im Flugversuch Stabilitätsversagen in der Seitenbewegung als erstes identifiziert, sollte sich über den Tragflügelentwurf noch einmal Gedanken machen.
Nurflügel (z.B. Horten) werden im Regelfall als erstes in der Seitenstabilität Probleme identifizieren, noch bevor die Grenze der Längsstabilität erreicht wird. Für diese Konfigurationen ist dieses Verfahren daher nicht geeignet, das Unterschneiden würde mit dem Verlust der Seitenstabilität einhergehen und dadurch zum Modellverlust führen. Instabilität um zwei Achsen bekommt man im Normalfall nicht mehr in den Griff. Das ist bei bemannten Flugzeugen auch nicht anders, Kampfflugzeuge sind im Unterschall nur um die Nickachse instabil und das regelt im wahrsten Sinne des Wortes das Flight Control System.
Bei leichten Elektromodellen muss man sehr vorsichtig mit diesem Verfahren sein. Strukturell sind diese Modelle oft am Limit dimensioniert und man hat dann bei der Erprobung den schönsten Flatterfall. Im ungünstigsten Fall hat man danach ein Modell weniger. Es empfiehlt sich daher, erst einmal Erfahrungen mit diesem Schwerpunktverfahren mit einer alten Gurke vom Dachboden zu sammeln. Danach bitte erst an das edle neue Modell herangehen und es richtig einstellen.
Bei normalen Seglern, die hochstartfest sind, kann man gleich loslegen. Am Anfang sollte man den Höhenruder Ausschlag größer als normal einstellen. Dann liegt man auf der sicheren Seite, falls das Unterschneiden zu spät erkannt wird. Je später reagiert wird, desto mehr Höhenruder braucht man zum Beenden! Wölbklappe und/oder Querruder nach unten ausschlagen hilft fast immer, selbst wenn Höhenruder nicht mehr wirkt. Wenn beim Unterschneiden das Ziehen nicht wirkt, dann hilft Drücken. Die Figur endet dann in einem Außenlooping und sieht auch noch cool aus. Grundsatz: Was man nicht verhindern kann, sollte man aktiv unterstützen!
Die Todesrolle ist die allerletzte Maßnahme, wenn absolut gar nichts mehr am Höhenruder geht: Voll Querruder geben, bis das Modell im Rückenflug fliegt und dann entspannt mit Tiefenruder und einem halben Außenlooping in den Normalflug zurückkehren. Dann durchatmen, landen und den Schwerpunkt wieder nach vorne legen. Genau das sollte aber nie passieren, wenn man bei hinterer Schwerpunktlage vorsichtig zu Werke geht. Es beruhigt aber zu wissen, dass man auch in diesem Fall noch Optionen zur Verfügung hat, wenn man als Pilot nicht dickköpfig auf der Höhenruderfunktion beharrt. Es geht auch ohne.
Dieses beschriebene Verfahren ist für ferngesteuerte Segelflugmodelle in dieser Form sinnvoll anzuwenden. Bei Freiflugmodellen liegen wegen der Eigenstabilisierung andere Verhältnisse als bei RC-Modellen vor, hier ist ein höheres Stabilitätsmaß erforderlich, um eine kurze Phygoide zu erzielen. Normale Passagier- und Frachtflugzeuge (CS-25) weisen üblicherweise Schwerpunktlagen von 17 bis 37% der Bezugsflügeltiefe (nicht mit dem Stabilitätsmaß verwechseln) auf; die Zulassung fordert einen Toleranzbereich der Schwerpunktlage von +/-7% um den Auslegungs-Schwerpunkt. Im Endeffekt sind diese Flugzeuge vergleichsweise stabil ausgelegt, was man auch an der Profilierung des Höhenleitwerks erkennen kann. Das ist auch gut so, falls wir selbst einmal mitfliegen sollten und sicher ankommen möchten.
Im Leistungssport mit ferngesteuerten Segelflugmodellen käme niemand im Normalfall auf die Idee, vergleichbar hohe Stabilitätsmaße zu nutzen, mit Ausnahme vom Hangflug unter Extrembedingungen. Bei Windstärke 10-11 Bft mit Orkanböen habe ich auch schon 20% Stabilitätsmaß geflogen, aber das ist wirklich eine Ausnahme. Man muss einfach nur wissen, dass Regeln auch immer Ausnahmen kennen. Besondere Bedingungen erfordern manchmal auch besondere Maßnahmen, wenn die maximale Leistung - oder die Steuerbarkeit an sich - sichergestellt werden soll.
© Hartmut Siegmann 1998-2015
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